Schweigen ist auch eine Form der Kommunikation
Gründe des Schweigens sind vielfältig, es wird aus Klugkeit geschwiegen, aus Höflichkeit, weil man sich auf den Schlips getreten fühlt, aus Angst, Scham oder weil es Situationen gibt in denen es angemessen ist. Aber Schweigen beinhaltet auch ein Risiko, vor allem, wenn dort geschwiegen wird, wo Kommunikation fließen sollte oder erwartet wird. Wer glaubt, Schweigen bedeutet Nichtkommunikation der irrt, denn Schweigen ist interpretierbar. Der Angeschwiegene hat allen Raum und Zeit, in der Unendlichkeit der Sprachlosigkeit, darüber zu spekulieren, warum er angeschwiegen wird. Schweigen öffnet die Tore zu Selbstzweifeln, Missverständnissen und falschen Schussfolgerungen.
Im Schweigen wohnt die Macht des Verunsicherns. Jeder der das schon einmal erlebt hat, wird sich nach einer Weile gefragt haben: „Was habe ICH falsch gemacht?" Die Reaktionen auf Schweigen folgen fast einer Gesetzmäßigkeit. Zuerst werden für die Wortlosigkeit der eigentlich erwarteten Kommunikation banale Erklärungen gesucht. Der Gesprächspartner ist verhindert, krank, zur Zeit nicht anwesend, hat möglicherweise die gesandte Botschaft nicht erhalten oder hat grad Wichtigeres zu tun, schließlich ist man nicht Mittelpunkt der Welt, ausgenommen vielleicht seiner eigenen. Es wird eine angemessene Zeit gewartet und sich mit vorgenannten Argumenten getröstet, doch zunehmend macht sich Sorge breit. Verstreicht diese angemessene Zeit, ohne das dem Schweigen Reden folgt, kommt Unruhe auf, dennoch überzeugt und beruhigt man sich selbst immer wieder mit sachlichen Argumenten. Es kommt der Zeitpunkt an dem die Unruhe beginnt in Handlungszwang umzuschlagen. Das heißt: Man fragt sich, ob man die Botschaft noch ein weiteres Mal senden soll, ob man nachfragen soll, was der Grund für die Funkstille ist. Dem Samen der Selbstzweifel ist der Boden bereitet. Gedanken wie: „Wenn ich jetzt nachfrage, sieht es so aus als wolle ich Druck ausüben." oder „ Wenn ich jetzt nachlege, sieht es so aus als hätte ich es nötig ..." machen sich breit und verschaffen sich Raum. Wohlwollende Gedanken kippen langsam ins Gegenteil und Ärger kommt auf. Wird man weiter beschwiegen kommt man auf die Idee das Schweigen könne Taktik sein einen Zweck verfolgen. Der Gedanke, dass ein System hinter dem Schweigen liegen könne, löst weitere Reaktionen aus, man fühlt sich enttäuscht, gelinkt, missachtet, benutzt oder ignoriert. Langsam zieht die Gewissheit ein, dass man unwert ist eine Antwort zu erhalten und lähmende Resignation setzt ein.
Schweigen bedeutet also keinesfalls die Abwesenheit vom Kommunikation, denn es wirkt sich auf der Beziehungsebene aus. Die unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten beeinflussen die Wahrnehmung der Beziehung. Unbedachtes Schweigen kann aber auch unbedeutsamen Umständen oder Inhalten eine Stellung geben die ihnen nicht zustehen.
Sicher gibt es immer Situationen in denen Schweigen Gold ist und eine wohltuende Wirkung hat, aber Schweigen kann eben auch Mauern bauen und es ist kein Mittel zur Konfliktlösung, es enthält immer das Risiko der Gegenreaktionen. Es könnte sein, dass der Angeschwiegene ebenso beginnt zu schweigen oder sich hinter Schutzmauern zurückzuziehen. Er könnte auch penetrant werden und immer wieder nachhaken und nachfragen oder in die Offensive gehen, den Konfliktpunkt öffentlich machen oder aber das Angeschwiegenwerden ignorieren und den zugrundeliegenden Konflikt so verleugnen. Besser ist, statt des Schweigens einen Zeitrahmen zu vereinbaren innerhalb dessen man antworten oder gegebenenfalls eine Entscheidung treffen wird, so reduziert sich das Risiko der falschen Interpretation des Schweigens um ein Vielfaches.
Ob Schweigen nun bewusst oder unbewusst eingesetzt wird, so ist es doch immer wieder ein machtvolles Mittel um eine Wirkung zu erzielen. Zur Konfliktvermeidung: „Wer sich anschweigt hat auch keinen Streit!", taugt es jedenfalls nicht. Das Sprichwort „Reden ist Silber und Schweigen ist Gold" hat deshalb nur bedingt Gültigkeit, mir gefällt das folgende Sprichtwort „Zuviel Schweigen schadet auch" besser.
Schweigen heißt also nicht - nichts sagen – Schweigen bedeutet vielmehr, dass man sich interpretierbar macht, was mit Sicherheit nicht immer so gedeutet wird wie man sich das vielleicht vorstellt.