Die Hüter des Goldknopflabels

Veröffentlicht auf von Szintilla

Die Flut der briefkastenverstopfenden Modeprospekte hat mich dazu inspiriert mein Bärlohn-Märchen anzupassen, umzuschreiben und mit einem Augenzwinkern auf den Modehype zu betrachten. Die ersten kühlen verregneten Herbsttage kamen dazu gerade richtig. Das hat jetzt absolut nichts mit Dialekt zu tun, aber mit jeder Menge Spaß und Spielerei um die modischen Worthülsen die uns überall begegnen.

 

Die Hüter des Goldknopflabels

   

Es lebte einmal vor langer Zeit ein anziehend modisches Kleingrößensortiment glücklich und zufrieden am extra bequemen Fuße des glanzvollen Kristallständers im Modewald.  Die Bügel der Ständerbäume trugen ihre bunten Mäntel in femininen fliederfarben, in kühlem Petrol oder in den aktuellen Trendfarben der Saison. Eines Tages erschien in ihrem aufregend vielseitigen Klamottenwald ein verletzter Pelzcardigan und bat die Kleingrößen um Hilfe. Die Kleingrößen hatten große Angst vor dem wuchtigen Pelzimitat in Übergröße. Bald spürten sie aber, dass es nicht reißstark und flexibel genug war, um ihnen etwas zu Leide zu tun. Zaghaft trauten sie sich näher an ihn heran. Sie reihten sich vor ihm auf und fragten: "Wie können wir dir helfen Kuschelfell?" Der Pelz grummelte, denn er war wütend auf sich selbst, weil er statt des Naturpelzes, die täuschendnaturnahe Stretch-Plüschpelzvariante in kastanienbraun, statt in camouflage, gewählt hatte, der die wasserabweisende Wirkung des Naturpelzes fehlte. „Ich bin viel zu schwach zum Outdoorjagen“, brummte der Pelz „wenn ich nicht bald etwas Trendiges in die Taschen stecke, verhungere ich und die Motten fressen mich auf.“ Auf der Jagd hatte ein ölzeugbemanteltes, jagdgrünes gummibestiefeltes Kundenexemplar mit Thermosocken den Pelz ernsthaft verletzt. Bei jeder Bewegung schmerzte seine extralarge Reißverschlusswunde aus der Zähne herausgebrochen waren. Die Kleingrößen berieten sich kurz und versprachen dem Pelztier Futterstoff zu bringen, solange er nicht jagen könne. Ein paar der Kleingrößen angelten und brachten dem Ungetüm paillettenglänzende Aufnäherfische. Andere sammelten auf ausgedehnten Spaziergängen durch die Boutiquen Beerenaccessoires in prachtvollen Rottönen und wieder andere gingen auf die Jagd um bunte Schals, Tücher und andere kleine Modeschnickschnacks aus 100% naturechtem Pelz, aus artgerechter Haltung zu erlegen, der die Saisonfarben camel und cognac trug. Aber der Pelzige war sehr XXXL und ziemlich ungehalten und die Kleingrößen so XXXS. Bald waren sie mit nichts Anderem mehr beschäftigt als für den zerrupften XXXL Futterstoffe in vielseitigen Naturtönen zu jagen und zu sammeln.

 

Die Kleingrößen waren auch die Hüter des Saison-Knopf-Labels an dem alle zehn Jahre goldene Knöpfe wuchsen. Die trendige Zauberkraft dieser goldenen Knöpfe war so groß, dass sie jedem Nahtgeplatzen oder Kopfentrissenen, der auch nur eine einzige davon besaß, sofort wieder intensive Farbgebung, Unversehrtheit und Wohlfühlerlebnisse verlieh. So einen Zauber-Gold-Knopf wollten sie aber nicht an den Pelzigen verschwenden. Einerseits fürchteten sie seine Kraft und allesumhüllende Größe, denn wenn er schnell wieder unversehrt wäre würde er sie vielleicht unter sich begraben. Andererseits waren sie geizig und fürchteten bis zur nächsten Gold-Knopf-Saison nicht genügend goldene Knöpfe für sich selbst zu besitzen.

 

Es dauerte nicht lang, da wurden sie müde das Pelzungetüm zu umsorgen. Die Wunde des Pelzigen wollte und wollte nicht richtig verheilen. Das riesige Flauschding war immer noch zu schwach zum Zahnjagen. Immer mehr Kleingrößen weigerten sich Extralarge zu helfen. „Warum musste er denn ausgerechnet zu uns an den Ständerbaum kommen, der passt doch gar nicht in unser Sortiment?“, murrten sie und sie klagten: „Ach, hätten wir ihn doch nur nicht hier gefunden, ohne diesen plüschigen Trendsetter waren wir viel besser dran!“ Am Abend eines langen arbeitsreichen Tages versammelten sie sich am Fuße des Kristallständers und hielten Rat. Die Mehrheit der Kleingrößen wollte das Pelzimitat preisreduzieren, aus dem Sortiment werfen.und seinem Schicksal überlassen. Der mit mit langjähriger Erfahrung ausgestattete Trendscout des Modewaldes hatte nun die Aufgabe dem Plüschmodell, für mollige Figuren, die begrenzte Anzahl der Angebotstage zu überbringen, bevor sie ihn vom Ständer werfen wollten. Sie hatten abgestimmt und beschlossen er müsse sich weitertrollen, bis er ein anderes Label fand, das ihm half. Als der XXXL dies hörte erfasste ihn großer Zorn, der höchsten Ansprüchen genügte. Graziös polternd richtete er sich zu voller Größe auf, poste nach eine kleinen Drehung gekonnt, präsentierte komerziell die elegante passgenaue Schnittführung seines Designers und brüllte ohrenbetäubend laut in das Sortiment edelster Qualität hinein, so dass es die herrlich kombinierbaren Basics erzittern ließ und die Kleinstgrößen fast umwehte: „So stimmt es also doch was ich über euch hörte!“ Während er so brüllte verwandelte er sich mit einem unbezahlbar guten Gefühl in den magische Designers, den Herrscher des Modewaldes. Die Kleingrößen hatten schon viel von ihm gehört, aber noch nie hatte ein XXXS ihn wahrhaftig gesehen. Der Zauberdesigner rief: „Ihr seid flatterhaft, moderesistent, altbacken, gesmokt, puffärmelig und eigennützig. Ein einziger Goldknopf eures Saisonknopflabels hätte euch den wochenlangen Hype um die Saisonaufgabe erspart den verletzten Pelzkuschel zu umsorgen und aufzupeppen. Aber ihr sollt dennoch einen gerechten Lohn erhaltenen. Als Dank und Ausgleich für eure Mühe will ich euch für immer mit den hautsymphatischen Knöpfen verbinden, von denen ihr euch nicht trennen könnt. Von nun an sollt ihr euch von der Fashionarbeit ausruhen und so lange an den völlig outen Modellen in vergessenen Kellern und Lagern schlafen, bis ihr jemandem mit der Zauberkraft der Goldknöpfe ein unschlagbars Angebot ihm zu helfen macht. Habt ihr das getan, dann endet auch mein Fluch. Nach langjähriger Erfahrung dürft ihr alle zehn Jahre die zuverlässig schützenden Dunkelräume für die Zeitspanne eines vollen Ausverkaufs verlassen, um eure Goldknöpfe an Modemuffel zu verschenken.“ Es half kein Paillettensticken und Klöppeln der unglücklichen Kleingrößen. Kaum hatte der Zauberdesigner den Fluch ausgesprochen, verschwanden sie alle in dunkle vergessene Ecken.

 

Bis heute haben sie sich nicht von ihren Accessoires trennen können. Solange man die vergessenen Kleingrößen schlafend in Plastiksäcken, Regalfächern und Kartons entdeckt, wirkt der Fluch des großen Plüschfellzauberdesigners, der die Hoffnung der Kleingrößen nährt sie würden wieder einmal nützlich und tragbar sein.

 

© szintilla 2011

 

 

 

 

 

Veröffentlicht in Wortwolken

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S
<br /> Liebe Szintilla,<br /> <br /> deine Inspiration einer Abwandlung zu Politik und Volk finde ich grossartig... so als 'die Hüter der gläsernen Menschen'... Gedanken zu einem Krimi, der mir dazu sofort in den Sinn kam beim<br /> Zeitunglesen ;-)...<br /> <br /> Liebe Wolkensonnengrüsse in den Donnerstag, Sichtwiese<br /> <br /> <br />
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S
<br /> <br /> Vermutlich würde sich das Märchen dann in eine Horrorgschichte verwandeln, aber ich behalte das im Kopf. <br /> <br /> <br /> Liebe Grüße, Szintilla<br /> <br /> <br /> <br />
S
<br /> Liebe Szintilla,<br /> <br /> absolut genial ;-) hast du das geschrieben, ich bin fasziniert.<br /> <br /> Liebe Gute-Nacht-Grüsse, Sichtwiese<br /> <br /> <br />
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S
<br /> <br /> Liebe Sichtwiese,<br /> <br /> <br /> danke!  Das Grundgerüst war ja schon da,es galt nur die Protagonisten auszutauschen und die Adjektive und den Ort<br /> und anzupassen. Das ist eigentlich beliebig machbar. Mal sehen was für Varianten mir im Laufe der Zeit noch einfallen. Politik und Volk wär auch schön, da stellt sich nur die Frage wer sind die<br /> Zwerge und wer der Zauberer. *g*<br /> <br /> <br /> Ich wünsch dir einen schönen Tag, liebe Grüße, Szintilla<br /> <br /> <br /> <br />
R
<br /> Hui, ganz schön lang ... das lese ich in Ruhe nachher im Bett :-)<br /> LG,<br /> Ralph<br /> <br /> <br />
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S
<br /> <br /> Nicht, dass du Albträume kriegst. *mbg*<br /> <br /> <br /> Gute Nacht! <br /> <br /> <br /> <br />
B
<br /> Was für eine Arbeit! Und was für eine Fantasie musstest du da laufen lassen! Ich muss das morgen nochmal lesen, in aller Ruhe!<br /> <br /> Lieben Gruß, Brigitte<br /> <br /> <br />
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S
<br /> <br /> Ich bin halt schon mal schräg drauf, dann passierts, dass ich Blödsinn schreibe.  <br /> <br /> <br /> Angedacht ist ja auch noch amtsdeutsch und juristendeutsch, aber das ist weniger Spielerei, sondern richtig Arbeit (wegen der vielen unverständlichen Fachausdrücke, deren Bedeutung man nur<br /> erahnen kann). *g*<br /> <br /> <br /> Liebe Grüße, Szintilla<br /> <br /> <br /> <br />